In der heutigen, sich schnell entwickelnden Geschäftswelt stehen Chief Operating Officers (COOs) unter immensem Druck. Die Herausforderungen gehen weit über Effizienz und operative Umsetzung hinaus; sie umfassen das Navigieren in einer zunehmend komplexen und unsicheren Welt. Nehmen wir Anna als Beispiel, COO eines führenden europäischen Technologieunternehmens, die mit Lieferkettenunterbrechungen, steigenden geopolitischen Spannungen und einem hybriden Team konfrontiert ist, das mehr Flexibilität fordert. Ihre traditionellen Werkzeuge – Datenanalyse, Leistungskennzahlen und Optimierungsrahmen – stoßen an ihre Grenzen. Doch das Umfeld verändert sich schneller, als ihre Modelle es vorhersagen können.
Annas erste Reaktion war analytisch: Sie beauftragte eine Untersuchung zu Schwachstellen in der Lieferkette und führte umfangreiche Szenarienanalysen mit KI-gestützten Tools durch. Diese Maßnahmen waren notwendig und lieferten auch wertvolle Lösungen. Dennoch blieb die grundlegende Unvorhersehbarkeit des Umfelds bestehen. Kein Datenmodell konnte die Komplexität vollständig abbilden, insbesondere nicht den menschlichen Faktor – Emotionen, Anpassungsfähigkeit und Innovationskraft.
Traditionelle Weisheit trifft auf neue Herausforderungen
Traditionell verlassen sich COOs auf bewährte Methoden wie Lean Management, Prozessoptimierung und datengesteuerte Entscheidungsfindung, um operative Herausforderungen zu lösen. Diese analytische, mechanistische Herangehensweise funktionierte gut in stabilen Märkten mit vorhersehbarem Wandel. Moderne KI-Lösungen können sogar weniger vorhersehbare Situationen berechnen. Doch in der heutigen volatilen und komplexen Welt – und erst recht in der Zukunft – reichen diese Ansätze allein nicht mehr aus.
Moderne Herausforderungen verlangen von COOs nicht nur, Prozesse zu managen, sondern auch Ambiguität zu bewältigen, Anpassungsfähigkeit zu fördern und Spannungen zwischen Gegensätzen auszubalancieren. Linear-kausales Denken wird den globalen Märkten von heute nicht mehr gerecht. Innovation, Zusammenarbeit und inneres Wachstum sind heute wertvoller denn je.
Ein anderer Führungsansatz: Developmental Leadership
Um in diesem neuen Umfeld erfolgreich zu sein, müssen Führungskräfte wie Anna ihren Fokus vom Kontrollieren und Optimieren hin zum Fördern und Entwickeln verschieben. Dieser Ansatz betrachtet Organisationen nicht nur als Maschinen, die feinjustiert werden müssen, sondern als lebendige Systeme, in denen Menschen durch Herausforderungen wachsen können. Es geht darum, eine Kultur zu schaffen, in der Lernen, Reflexion und Anpassung zum Alltag gehören.
Einige Leser mögen jetzt denken: „Das machen wir doch schon.“ Vielleicht zu einem gewissen Grad. Doch ich habe viele Beispiele gesehen, in denen COOs und Unternehmenskulturen noch nicht einmal die Zehenspitzen ins Wasser getaucht haben. Die steigende Komplexität verlangt jedoch schnellere und radikalere Anpassungen.
Komplexität zu managen bedeutet, Paradoxien zu akzeptieren, neue Arbeitsweisen zu erproben und Teams zu befähigen, kollektive Resilienz gegenüber Unsicherheiten zu entwickeln. In diesem Führungsstil stellen COOs andere Fragen – Fragen, die Möglichkeiten erweitern, anstatt sie auf ein einziges Ergebnis zu verengen. Es geht darum, Gegensätze auszuhalten, durch das Unbekannte zu führen, die Stärken des Teams zu nutzen und emotionale Intelligenz sowie Anpassungsfähigkeit auf allen Ebenen zu fördern.
Erste Schritte: Der Weg zu Developmental Leadership
Für COOs, die diesen Entwicklungsansatz verfolgen möchten, habe ich folgende vier praktische Schritte entwickelt:
Fördere eine Kultur des Wachstumsdenkens: Verschiebe den Fokus von Perfektion und Effizienz hin zu Lernen und Entwicklung. Diese Veränderung beginnt bei der Führungskraft. Die Frage ist nicht mehr: „Wie optimieren wir ein Produkt von 98 % auf 98,5 %?“ sondern: „Ich habe keine klare Antwort mehr. Was wir früher getan haben, wird nicht mehr ausreichen.“ Ermutige Mitarbeitende, Herausforderungen als Chancen für persönliches und organisatorisches Wachstum zu sehen.
Ermögliche kollaborative Problemlösungen: Baue Teams auf, die funktionsübergreifend, divers und in der Lage sind, Komplexität mit verschiedenen Perspektiven zu bewältigen. Fördere offene Dialoge und kollektive Entscheidungsfindung. Viele Unternehmen schaffen Teams, aber da alle in ihren Komfortzonen bleiben, entstehen keine wirklich neuen Ideen. Es ist die Führung, die verborgene Potenziale jedes Teammitglieds freischalten kann.
Ermutige zu Experimentieren und Flexibilität: Schaffe sichere Räume, in denen Teams neue Ideen testen können, ohne Angst vor Konsequenzen zu haben. Innovation entsteht oft durch Trial-and-Error. Dies beginnt mit Offenheit und Verletzlichkeit seitens der Führung und endet mit der Anpassung von Anreizsystemen, die nicht nur Erfolge, sondern auch Experimente und Fehler belohnen. Wahres Wachstum kann nur aus wahren Fehlern entstehen.
Bringe das volle menschliche Potenzial ein: COOs sollten Selbstbewusstsein, Empathie und eine Verbindung zur eigenen Menschlichkeit entwickeln. Führe Teams nicht nur mit strategischem Scharfsinn, sondern auch mit einem Verständnis für die emotionale Intelligenz, die Verhalten in unsicheren Zeiten antreibt. Unsere wichtigsten Entscheidungen im Leben – Partnerschaften, Kinder, Hauskauf – werden oft von Emotionen und Körperwahrnehmungen geleitet. In der Geschäftswelt jedoch wird dieser menschliche Aspekt oft ignoriert.
Organisationen können sich nicht über das Entwicklungsniveau ihrer Führung hinaus entwickeln. Sich mit voller Menschlichkeit zu zeigen, unterstützt eine authentischere Führung und eröffnet neue Potenziale für jeden Mitarbeitenden – und damit für das Unternehmen.
Indem COOs wie Anna diesen Entwicklungsansatz verfolgen, können sie nicht nur die operativen Herausforderungen von heute meistern, sondern auch eine resiliente und adaptive Organisation aufbauen, die in der Lage ist, in den Unsicherheiten von morgen zu gedeihen. Dieser Wandel vom Kontrollieren von Prozessen hin zur Entwicklung von Menschen könnte der Schlüssel zu langfristigem Erfolg in einer immer komplexeren Welt sein.

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